6 Fragen an: Prof. Dr. Alexander Geissler #pulse

GE Healthcare

DigitalRadar

Kurz und knapp

Für den „DigitalRadar Krankenhaus“, eine große Befragung, die den Digitalisierungsgrad deutscher Krankenhäuser messen sollte, gaben 1.624 der rund 1900 Krankenhäuser eine Selbsteinschätzung ab.


Das Konsortium „DigitalRadar“ wurde 2021 vom Bundesministerium für Gesundheit mit der Evaluation des Krankenhauszukunftsfonds beauftragt. 

Wie digital sind Deutschlands Krankenhäuser heute? 

Wenn ich unter „digital“ Systeme verstehe, mit denen ich vor allen Dingen papierlos arbeiten kann, dann sind Deutschlands Krankenhäuser schon ziemlich digital. Es sind viele Systeme und Strukturen vorhanden. Zwar noch nicht in allen Abteilungen in allerletzter Feinheit, aber Deutschland steht, was die Infrastruktur anbelangt, relativ gut da.  

Wenn wir Digitalisierung aber verstehen als den Austausch von Informationen, also, dass verschiedene Abteilungen in Krankenhäusern und darüber hinaus digital kommunizieren und nicht per Fax, Telefon oder Pieper, dann sind wir noch ziemlich weit entfernt von einer digitalen Krankenhauslandschaft. Das ist die „Digitalisierung“ die uns fehlt die aber wichtig für die Qualität der Versorgung und Patientensicherheit ist. Der DigitalRadar zeigt das sehr eindrücklich.  

Länder mit zentralisierten Gesundheitssystemen sind im Hinblick auf ihre Digitalisierung schon einen Schritt weiter als Deutschland.

Prof. Dr. Alexander Geissler

Co-Projektleiter, DigitalRadar

Wie ist es im internationalen Vergleich? 

Wir sehen, dass Länder, die – entweder national oder regional –  zentralisierte Gesundheitssysteme haben, schon einen Schritt weiter sind als Deutschland. Dort sind die einzelnen Leistungserbringer darauf angewiesen, stärker miteinander zu interagieren. In Deutschland, wo die meisten Kliniken im Wettbewerb miteinander stehen, funktioniert das bisher nur schlecht. Die einzige Ausnahme sind manche Klinikverbünde, die untereinander Informationen austauschen.  

Anhand der DigitalRadar-Ergebnisse konnten wir aber zeigen, dass wesentlich mehr deutsche Krankenhäuser den niedrigsten digitalen Reifegrad 0 überschritten haben als in den beiden vergleichbaren Industrieländern Kanada und Australien. Im Durchschnitt erlangten die deutschen Kliniken einen DigitalRadar-Score von 33,3 bei maximal 100 möglichen Punkten. Der niedrigste Punktwert lag bei 3,3, der höchste erreichte Wert bei 63,9 Punkten. 

Allerdings gibt es in den deutschen Kliniken vor allem in den Bereichen klinische Prozesse, Informationsaustausch, Telehealth und Patientenpartizipation Entwicklungsbedarf. Auch die Weitergabe strukturierter Daten innerhalb der Häuser sowie die Interoperabilität zwischen den vorherrschenden Softwarelösungen ist durchaus verbesserungsfähig. 

Welche Schlüsse können Krankenhäuser aus den ersten Analysen ziehen?  

Über ein Dashboard können die Krankenhäuser ihre Ergebnisse einsehen, filtern und mit selbst zusammenstellbaren Peer Groups vergleichen. Zudem haben wir versucht, ein ganzheitliches Bild über den Stand der Digitalisierung zu zeichnen, so dass die Kliniken erstmals den Spiegel vorgehalten bekommen hinsichtlich ihrer Digitalisierungsumsetzung. Der DigitalRadar kann den Krankenhäusern also als Managementtool für die digitale Entwicklung dienen, das Entwicklungspotenziale und Stärken aufzeigt. Er soll ihnen helfen, eine Digitalisierungsstrategie zu erarbeiten und abzuleiten.

Geissler_Alexander_Fokusbild-Thurnherr_2022_Hintergrund.jpg

Prof. Dr. Alexander Geissler ist Co-Leiter des DigitalRadar und Ordinarius für das Management im Gesundheitswesen an der Universität St. Gallen. Er erklärt, wie es um die Digitalisierung an deutschen Kliniken steht.  

In einem späteren Schritt soll eine zweite Messung des Reifegrades Aufschluss über die Effekte der Förderung in Bezug auf den Digitalisierungsgrad und die Verbesserung der Versorgung bringen.  

Für den gesamten Reformprozess brauchen wir aber mehr Vertrauen und Durchhaltevermögen und dürfen jetzt nicht ungeduldig werden. Man kann nicht erwarten, dass Deutschland innerhalb von zwei Jahren total digitalisiert ist. Wenn wir in fünf Jahren die ersten Effekte vom Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) sehen, dann wäre das ein gutes Ergebnis. Wir müssen kontinuierlich messen und den Prozess über die nächsten Jahre begleiten. Nur so können wir tatsächlich sagen ob eine Anschubfinanzierung wie über den Krankenhauszukunftsfond wirklich effektiv ist. 

Wie genau haben Sie die Ergebnisse erhoben? 

Alle Krankenhäuser, die im vergangenen Jahr über das KHZG eine Förderung beantragt haben, waren verpflichtet, sich an der Befragung zu beteiligen. So kam es zu dieser weltweit einzigartigen, umfangreichen Datenerhebung über den Zustand der digitalen Ausstattung der Kliniken im Land. 

Wir haben während der Modell- und Fragen-Entwicklung darauf geachtet, dass wir genügend Punkte aus EMRAM integrieren, um aus dem DigitalRadar sogenannte EMRAM Indikatoren abzuleiten. EMRAM steht für Electronic Medical Record Adoption Model und ist international weit verbreitet, um den Digitalisierungsgrad in Krankenhäusern zu beschreiben. Das heißt also, dass wir aus den Ergebnissen von DigitalRadar annähernd beschreiben können, wie denn die EMRAM-Stufe aussehen würde, wenn sich die Klinik dazu durchringt, eine EMRAM Zertifizierung durchzuführen. Der DigitalRadar ist vor der Veröffentlichung durch Pilotkrankenhäuser getestet und von einem eigens eingerichteten Expertenbeirat kritisch bewertet werden. Wir haben daraufhin eine Reihe von Anpassungen vorgenommen. Wir gehen davon aus, dass unsere finalen Fragen gut die Gegebenheiten und Besonderheiten der deutschen Krankenhauslandschaft abdecken. 

Bis zu 4,3 Milliarden Euro

1624

sollen Kliniken nach dem KHZG für Digitalisierungsprojekte erhalten. Dementsprechend hoch war die Beteiligung. 1624 Krankenhäuser haben eine Förderung über das KHZG beantragt und die strukturierte Selbsteinschätzung zwischen Oktober und Dezember 2021 ausgefüllt.

Krankenhäuser haben eine Förderung über das KHZG beantragt und die strukturierte Selbsteinschätzung zwischen Oktober und Dezember 2021 ausgefüllt.

Welche Dinge braucht es – abgesehen von den finanziellen Ressourcen – aus Ihrer Sicht, um Digitalisierung voranzutreiben? 

Die 4,3 Milliarden Euro, die derzeit für die ca. 1900 empfangsberechtigten Krankenhäuser zur Verfügung stehen, können nur eine Anschubfinanzierung sein. Das wären rund 2,3 Millionen Euro pro Klinik, keine wahnsinnig große Summe für ein Digitalisierungsprojekt. 

Trotzdem ist es aber eine Summe, die für die Kliniken einen Anreiz dafür schafft, sich einmal damit auseinanderzusetzen und zu überlegen, wo sie eigentlich am dringendsten handeln müssen. 

Aus meiner Sicht fehlen zudem regulatorische Eingriffe. Wir haben immer noch das Problem, dass viele Hersteller eigene Systeme bauen, die den Datenaustausch quasi verhindern. Deutschland sollte allgemeine Vorgaben machen und darüber die Hersteller dazu bringen, die entsprechenden Produkte anzubieten.

Sehen Sie denn eine Veränderungsbereitschaft seitens der Krankenhäuser? 

Ja das kann man deutlich sehen und spüren. Jedoch stehen die Krankenhäuser vor riesigen personellen Herausforderungen. Wer sein Haus heute digitalisieren möchte, dem genügt es nicht, nur die Infrastruktur bereit zu stellen. Man braucht auch das Personal, das sich mit dieser neuen Technologie auskennt, sie einrichten und die Mitarbeiter in den Häusern schulen kann. 

Zudem müssen die Systeme höchst benutzerfreundlich sein, damit die Menschen auch damit arbeiten. Ich kann noch so schöne digitale Systeme einführen. Wenn sie keinen Zusatznutzen für den Menschen stiften, der damit arbeitet, dann werden diese Systeme ignoriert oder umgangen. Und dann haben wir doch wieder überall Post-its kleben mit irgendwelchen handschriftlichen Information statt Informationen zentral digital zu ordnen und zu verbessern. 


Dies ist ein Artikel aus #pulse, unserem Zukunftsmagazin (Ausgabe 02/2022). Möchten Sie mehr zu unserem Kundenmagazin oder unseren digitalen Lösungen erfahren? Dann klicken Sie hier.